SEHEN, VERSTEHEN, ERLEBEN
GREEN VISIONS

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GREEN VISIONS

Aus dem roten Schal muss ein grüner werden oder, Herr Kosslick?

Zurzeit bereitet sich Potsdam auf sein Umwelt-Film-Festival vor, das im Juni 2024 erstmals stattfinden soll. Als Leiter konnte man den langjährigen Chef der Berlinale gewinnen. Ein Gespräch mit Dieter Kosslick über „Green Filming“, den Webfehler der deutschen Filmförderung und vegane Häppchen

Herr Kosslick, Sie waren von 2001 bis 2019 Direktor der Internationalen Filmfestspiele von Berlin – was hat Sie bewogen, die Leitung eines kleinen cineastischen Start-ups wie des Potsdamer „Green Vision“-Umwelt-Film-Festivals zu übernehmen?
Ich finde den Ort ideal. Potsdam ist ja nicht nur ein wichtiger Film-, sondern auch ein exzellenter Wissenschaftsstandort. Hier gibt es Institute und Koryphäen, die man weltweit kennt. Dazu ist die Stadt auch noch UNESCO City of Film geworden. Das passt alles wunderbar zusammen und wird sich gegenseitig befruchten.

Ist es nicht todesmutig, gerade jetzt ein neues Festival zu starten? In einer Zeit, in der sich das Kino in einer furchtbar tiefen Krise befindet?
Es ist vielleicht die größte Krise der Kinogeschichte. Corona hat nicht nur die Welt verändert, sondern auch die Traumwelt des Films. Die Pandemie hat ein weltweites Kinosterben ausgelöst – Hunderte Kinos sind im Herbst 2020 geschlossen worden.

Streaming hat seinen Teil dazu beigetragen. Es gehört aber nicht nur zu den Totengräbern des Kinos, sondern auch zu den schlimmsten Umweltsündern …
Das ist wahr. Durch Video-on-demand-Dienste werden pro Jahr mehr als 100 Megatonnen CO2 erzeugt. Das entspricht dem ökologischen Fußabdruck von ganz Chile! Das muss man sich mal vorstellen.

„Green Visions“ will unterhalten und aufklären. Wie wird das praktisch aussehen?
Nach jedem Film, den wir zeigen, wird ein Wissenschaftler die Zusammenhänge erläutern. Nach dem Motto: Der Zusammenhang zwischen einem Burger und der Abholzung des Regenwalds ist zwar komplex, aber wenn du noch eine Viertelstunde Zeit hast, kann ich ihn dir erklären. Und wenn einer anschließend sagt, das glaube ich nicht, dann hat er’s jedenfalls mal gehört. 

Sie sind seit langem Vegetarier, unter Ihrer Leitung wurden die Häppchen der Berlinale sogar vegan …
Ja, das war ein Alleinstellungsmerkmal weltweit. Hollywoodstars wie Woody Harrelson oder Joaquín Phoenix konnten es erst gar nicht glauben!

In der Autobiografie, die Sie vor zwei Jahren vorgelegt haben („Immer auf dem Teppich bleiben“, Hoffmann und Campe Verlag Hamburg), kritisieren Sie das deutsche Filmförderungssystem, das zu einem regelrechten „Fördertourismus“ geführt habe. 
Unter ökologischen Gesichtspunkten ist das System völlig verrückt. Filmproduktionen reisen, weil sie die Fördergelder da ausgeben müssen, wo sie sie erhalten! Klimaneutralität wird man so nie erzielen, „Green Filming“ wird dadurch unmöglich. Bei Filmproduktionen entsteht ja der Löwenanteil der CO2-Emissionen durch Energie und Transport.

Wie könnte man das ändern?
Filmförderung ist Strukturförderung. Alfred Holighaus, der damalige Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, hat schon 2017 bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag eine Art filmischen Länderfinanzausgleich vorgeschlagen. Das wäre ein gangbarer Weg.

Das Festival soll drei Tage dauern. Wie viele Filme werden Sie zeigen?
Wahrscheinlich 25, 30.  Anders als bei der Berlinale können keine Filme eingereicht werden, sondern wir suchen die Filme auf Festivals. Die Filme, die wir zeigen, sind also woanders schon gelaufen. Natürlich werden wir uns bemühen, eine Deutschlandpremiere zu bekommen, dann könnte man den Regisseur oder einen Darsteller einladen, und das wäre schön für Potsdam.

Ist das Festival offen für fiktionale und für Dokumentarfilme?
Ja. Und dazu vielleicht noch eine Anmerkung: Wenn mir jemand sagt, du, ich habe einen Film über den Wald gemacht, dann schauen wir uns den natürlich an und zeigen den gegebenenfalls auch. Aber im Prinzip bestimmen wir, was gezeigt wird. Im Gegensatz zum Ludwigsburger „Nature Vision“-Festival oder zur Potsdamer „Ökofilmtour“, die vor allem Dokumentationen von arte und 3sat zeigt, geht es uns um große Kino- und Dokumentarfilme.

Gibt es die Koppelung von Film und Wissenschaft bei anderen Festivals auch, oder beschreiten Sie damit einen neuen Weg?
Das würde ich mir nicht anmaßen zu behaupten, Expertengespräche gibt es hier und da bestimmt auch, aber sicher nicht so dezidiert wie bei uns. Beim „Green Visions“-Festival ist die Wissenschaft die zweite der drei Säulen. Die dritte wird der sogenannte Markt vor dem Filmmuseum sein. Dieser Dreiklang ist unser USP:  sehen, verstehen, erleben. Filme sehen, durch Wissenschaft verstehen und dann auf dem Markt erleben. 

Zum Beispiel?
Na, wir stellen uns natürlich vor, dass Frank Fahland zum Markt kommt, ich persönlich würde mir einen Stauden-Schwerpunkt wünschen. Der Platz vor dem Filmmuseum ist ideal, ich habe neulich gelesen, dass da 55.000 Autos pro Tag dran vorbeifahren. Da muss man uns einfach sehen! Und es kostet ja nichts, auf diesen Markt zu gehen, sich da mal hinzusetzen und die Produkte aus der Region anzugucken. Idealerweise kommt man über den Markt dann auch ins Kino rein und guckt sich einen Film an. Ich will damit sagen, unser Festival soll und wird auch sinnlich sein. Natürlich wollen wir das Bewusstsein für die Umweltproblematik schärfen, aber mit Humor und Freude. Ich bin überzeugt, dass man mit dem Dreiklang  Film, Wissenschaft und Markt etwas hinbekommt, was den Leuten Spaß macht. Und wenn es ihnen Spaß gemacht hat, dann werden sie vielleicht auch bereit sein, nach ihren Möglichkeiten etwas zu ändern. Wir wollen auf gar keinen Fall die Lehrmeister der Nation sein. Das Festival wird nicht didaktisch sein, aber es wird eine explizit grüne Agenda haben. 

Wird es CO2-neutral sein?
Wir werden uns sehr anstrengen. Und wir haben mit Birgit Heidsieck, der Herausgeberin des Magazins „Green Film Shooting“, eine Expertin gewonnen, die alle unsere Aktivitäten auf CO2-Neutralität untersucht. Was dann nicht geht, werden wir kompensieren. 

Standorte werden zunächst das Kino im Filmmuseum und das Thalia Kino sein?
Ja, jedenfalls im ersten Jahr. Das Kino in der Filmuniversität wird gerade umgebaut, das kommt aber hoffentlich 2025 dazu. Und dann werden wir ja sehen, ob und wie sich das Festival weiter ausbreitet. Jetzt bewegen wir uns ja erst mal langsam auf die Erstausgabe im Jahr 2024 zu.

Viel Erfolg, Herr Kosslick, und vielen Dank für dieses Gespräch.

verfasst von
Barbara Möller

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