PABLO, DER PAPST UND DIE PILZE

PABLO, DER PAPST UND DIE PILZE

Franziskus im Balenciaga-Mantel: Im März 2023 gingen die Papst-Bilder viral

Ein einfacher Bauarbeiter aus Chicago hat die erste Ikonografie des KI-Zeitalters geschaffen. Was sagt uns das? Noch nie war die Manipulation von Bildern und Videos so einfach wie heute. Das könnte sich zu einer ernsthaften Gefahr für die Demokratie auswachsen

Es passierte im Drogenrausch. Pablo Xavier, ein 31-jähriger Bauarbeiter aus Chicago, hatte gerade ein paar Pilze eingeworfen, als er mit dem Bildgenerator Midjourney herumspielte. Sein Bruder war ein paar Monate zuvor verstorben und die KI war für ihn eine Art Kummerkasten: Er malte sich aus, wie sein Bruder jetzt aussehen würde. Das war seine Art, die Trauer zu bewältigen. Doch jetzt wollte er etwas Psychedelisches schaffen. „Warum nicht mal den Papst in einer fetzigen Jacke darstellen?“, dachte sich der zugedröhnte Mann, der in einer katholischen Familie sozialisiert wurde, aber keinen Draht zur Kirche mehr hat. Also tippte er einen Prompt in den Bildgenerator, der ungefähr so ging: „Der Papst in Balenciaga-Pufferjacke, Moncler, durch die Straßen von Rom laufend“.

Vermutlich kommt man nur mit bewusstseinserweiternden Drogen auf so eine Idee. Die KI aber halluzinierte nicht, sondern spuckte fotorealistische Bilder aus, die den Pontifex in oranger und weißer Daunenjacke zeigen. Der Bauarbeiter fand die Fotos „perfekt“ – und postete sie in der Facebook-Gruppe „AI Art Universe“ sowie im Onlineforum Reddit.

Als der Bauarbeiter an einem Freitagnachmittag im März auf den blauen Post-Button klickte, konnte er noch nicht ahnen, welche Lawine er da losgetreten hatte. Auf seinem Smartphone verfolgte er in Echtzeit, wie das Fake-Foto des Papstes immer mehr Likes bekam – und im Netz viral ging. Pablo, der bis heute anonym bleiben und seinen Nachnamen nicht in Medien veröffentlicht sehen will, war geschockt: Er hatte gerade einen Internethit geschaffen.

„Ich wollte die Sache eigentlich gar nicht so aufblasen“, erzählte der Mann dem Portal „Buzzfeed“. Doch da war es schon zu spät. Das Bild war in der Welt. Internetnutzer, die am nächsten Morgen schlaftrunken durch die Timeline ihrer Social-Media-Accounts scrollten, rieben sich verwundert die Augen: Ist das echt? Der Fake wurde schnell aufgeklärt, doch das Bild des luxurierenden Pontifex in sündhaft teurer Jacke ließ sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Es ist die Geschichte einer Technologie, die die Welt so grundlegend verändern könnte wie die Erfindung der Dampfmaschine und Elektrizität.

Mit künstlicher Intelligenz kann heute jeder Bilder nach seinen Wunschvorstellungen kreieren. Angela Merkel und Barack Obama am Strand, Donald Trump in Häftlingskleidung, Emmanuel Macron als Müllwerker – per Mausklick lassen sich Fake-Aufnahmen erstellen, die verblüffend echt aussehen. Photoshop war gestern, KI ist heute. Es braucht noch nicht einmal einen Fotoapparat oder ein Motiv vor der Linse. Bildformat, Lichtverhältnisse, Kameraobjektiv – das lässt sich alles am Computer einstellen. Freddie Mercury als gealterter Rockstar in Regenbogenoutfit auf der San Francisco Pride Parade 2023? Kein Problem! Die KI lässt verstorbene Stars wieder aufleben. Früher waren solche Spezialeffekte allenfalls in teuren Hollywood-Studios realisierbar. Heute gibt es frei zugängliche Bildgeneratoren im Internet.   

Der Berliner Fotograf Boris Eldagsen, der in diesem Jahr mit einem KI-generierten Fake-Bild einen – später von ihm abgelehnten – Fotopreis gewann, spricht von der „Promptografie“ als Nachfolgerin der Fotografie. Mit Bild-KIs lassen sich Hollywood-Schauspieler digital verjüngen oder gigantische Schlachtszenen auf die Leinwand projizieren, ohne dass man dafür einen einzigen Statisten engagieren müsste.

Der chinesische Straßenfotograf Zhang Haijun produziert derweil mit Midjourney fiktive Retroaufnahmen aus der bilderarmen Zeit der 1990er, als in China kaum jemand Geld für einen Fotoapparat hatte: Hochzeiten auf dem Land, Tagelöhner in der Stadt, solche Sachen. Nichts davon hat sich je ereignet – die Szenerie ist fake. Ist das Kunst? Publikumstäuschung? Oder gar Geschichtsklitterung? Kann man seinen Augen noch trauen?

Die Manipulation von Bildern ist kein neues Phänomen. Als die Fotografie erfunden wurde, dauerte es nicht lange, bis der erste Fake in die Welt gesetzt wurde. Frustriert über den Erfolg seines Rivalen Louis Daguerre veröffentlichte der Fotografiepionier Hippolyte Bayard im Jahr 1840 ein Foto, das seinen eigenen Selbstmord fingierte. Mit dem gestellten Selbstporträt wollte er der Welt weismachen, dass er in der Seine ertrunken und in einer Leichenhalle aufgebahrt sei. Das Foto geriet zur Fiktion. Im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) ging der Fotograf Alexander Gardner sogar so weit, Leichen getöteter Soldaten an „dramatischere“ Orte zu verlegen, um die Szenerie mit mehr Pathos und Patriotismus aufzuladen. Damals musste man noch von Hand nachhelfen und einen viel größeren Aufwand betreiben. Heute arrangiert der Computer das Setting.

KI hat die Manipulation von Bildern niedrigschwelliger gemacht. Die Bedienung eines Bildgenerators ist simpel – und erfordert keine speziellen IT-Kenntnisse. Mit KI-Werkzeugen lassen sich im Handumdrehen Stimmen klonen und Gesichter auf fremde Körper montieren, die sich wie Sprechpuppen bewegen und steuern lassen. So kursierte im Internet ein Deep-Fake-Video, worin dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eine Kapitulationserklärung in den Mund gelegt wurde. Was vor ein paar Jahren als Spielerei am Computer begann, könnte sich zu einer ernsthaften Gefahr für die Demokratie auswachsen.

Auch die AfD hat bereits KI-generierte Wahlplakate ins Netz gestellt, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Eines zeigt eine Gruppe migrantisch aussehender Männer mit wutverzerrten Gesichtern, versehen mit dem Slogan „Nein zu noch mehr Flüchtlingen“. Die AfD beschwichtigte: Es handele sich nur um Symbolbilder. Nach Recherchen der „FAZ“ hatte der AfD-Abgeordnete Norbert Kleinwächter das Stichwort „arab migrants in Berlin“ in den Bildgenerator Midjourney eingegeben, mit dem auch die Bildmontage des Papstes erstellt worden war. Aber gibt es überhaupt den „typischen“ Araber? Und wie sieht der aus? Mit welchen „Formatvorlagen“ wurde die KI trainiert?

Digitale Technologien zementieren Stereotype des Menschen. Und so verwundert es nicht, dass die KI-generierten Models und Pornosternchen, die gerade die digitalen Universen bevölkern, die Barbie-Ästhetik von gestern reproduzieren: Blonde Frauen mit prallen Brüsten, die aussehen, als hätte sich die KI an ein paar Aufnahmen von Margot Robbie verschluckt. Wer aber genau hinsieht, erkennt Schönheitsfehler: Mal sind ein paar Finger zu viel an den Händen, mal ist die Zahnreihe schief. Die körperlose KI hat keine Vorstellung von Körpern.

Auch beim Fake-Foto des Papstes unterliefen dem Bildgenerator Fehler, an denen das geschulte Auge die Fälschung entlarven konnte: Der charakteristische Leberfleck von Franziskus unterm rechten Auge fehlt, die Fingerkuppen an der rechten Hand, wo der Pontifex den Fischerring trägt, sind abgeschnitten, und auch die Kreuz-Kette ist unvollständig. War das vielleicht ein frevlerischer Akt? Hat die KI am Ende halluziniert? Wer weiß das schon. Fest steht: Ein Bauarbeiter aus Chicago hat die erste Ikonografie des KI-Zeitalters geschaffen.

verfasst von
Adrian Lobe

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