MYTHOS EINSTEIN

MYTHOS EINSTEIN

Einstein zeigt seine Zunge

Von Kometen und Schwarzen Löchern: In Potsdam wird seit mehr als 300 Jahren Wissenschaftsgeschichte geschrieben

Es wächst zusammen, was zusammengehört!“ Mit diesem historischen Satz begleitete Willy Brandt den Fall der Mauer in Berlin. Dreißig Jahre später hat sich seine Prophezeiung mehr als erfüllt. In Potsdam fanden die Wissenschaftstraditionen aus Ost und West zusammen, und sie haben eine Wissenschaftslandschaft hervorgebracht, die bundesweit einmalig ist. Mehr als 15.000 Menschen aus 160 Ländern arbeiten in rund 150 wissenschaftlichen Einrichtungen von Potsdam bis Cottbus, Frankfurt/Oder und Wildau bis hin nach Oranienburg und Eberswalde. 

Die in der Region international agierenden Forschungsinstitute knüpfen dabei an lange bestehende Forschungstraditionen an. So genießen die Potsdamer Geowissenschaftler, Astrophysiker und Gravitationsexperten einen ausgezeichneten Ruf. Dass der Weg für Frauen durchaus steinig war, dafür steht Maria Margaretha Kirch: Sie war die erste Frau, die einen Kometen entdeckte (1702) und erleben musste, dass dafür nicht sie, sondern ihr Mann an die Akademie der Wissenschaften berufen wurde. Später sorgten Männer wie Alexander von Humboldt (1769 – 1859) oder der Geodät und Mathematiker Friedrich Robert Helmert (1843 – 1917) für Potsdams Ruhm und Ehre. Und über allem schwebt natürlich der Mythos Albert Einstein: In Potsdam stößt man an allen Ecken und Enden auf den Namen des Physiknobelpreisträgers. 

Der Einsteinturm ist das wissenschaftliche Wahrzeichen Potsdams.

Vorrangig auf dem Telegrafenberg. Dort oben entstand 1874 das Astrophysikalische Observatorium, dessen späterer Direktor Karl Schwarzschild Grundlagen für die Theorie der „Schwarzen Löcher“ legte. 1920 begann der Architekt Erich Mendelsohn mit dem Bau eines Sonnenobservatoriums, dem heutigen Wahrzeichen für die Wissenschaftsstadt Potsdam: dem sogenannten Einsteinturm. Heute wird dort an drei international renommierten Instituten geforscht: dem GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ), dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Ergänzt wird die Klimaforschung durch das 2009 gegründete Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) an der Berliner Straße.

Das wertvollste Kapital der Region war und ist ihr geistiges Potenzial. Folgerichtig konzentrieren sich die wichtigsten Investitionen auf Wissenschaft und Bildung. Und so liegt die Zukunft der Region – neben dem Tourismus und der Medienwirtschaft – vor allem in der Wissenschaft und damit auch in den Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Nutzbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse. Auffallend in Potsdam ist, dass sich nach der Wende verschiedene Standorte in und am Rand der Stadt entwickelt haben, an denen jeweils Forschungsinstitute verwandter Disziplinen konzentriert sind. 

In Babelsberg wurde mit dem Hasso-Plattner-Institut 1998 das einzige ganz aus privaten Geldern finanzierte Universitäts-Institut gegründet. Mit der „School of Design Thinking“ schuf Plattner 2007 am HPI in Potsdam Europas erste Innovationsschule für Studenten aller Fachrichtungen. Im November 2008 starteten das HPI und die Stanford University ein gemeinsames Programm zur Innovationsforschung.

Die Zentren der geisteswissenschaftlichen Forschung liegen in Potsdams Mitte Am Neuen Markt. Fast jedes dieser Institute wirft einen Blick auf die Vergangenheit, wenn auch aus sehr verschiedenen Blickwinkeln: Die jüdische Perspektive analysiert das 1992 gegründete Moses-Mendelsohn-Zentrum (MMZ), das historischen, philosophischen, religions-, literatur- und sozialwissenschaftlichen Fragen nachgeht. Dieses Institut ist auch maßgeblich am Studiengang „Jüdische Studien“ der Universität Potsdam beteiligt, in dessen Rahmen unter anderem Rabbiner ausgebildet werden. Ebenfalls Am Neuen Markt befinden sich eine Filiale der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), das sich unter anderem mit der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR befasst. 

Neben dem schon etablierten Potsdam Centrum für Technologie im Bornstedter Feld und dem Biotechnologie-Campus in Hermannswerder hat sich der Potsdam Science Park zum größten Forschungscampus in Brandenburg entwickelt. In den 1930er Jahren entstand in Golm – damals noch vor den Toren Potsdams gelegen – ein Gebäudekomplex für die Luftnachrichtenabteilung des Oberkommandos der Luftwaffe. Während der DDR-Zeit blieb das Gelände in militärischer Hand und wurde teilweise durch die Nationale Volksarmee genutzt. 1951 erfolgte die Gründung der Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die 1965 in Juristische Hochschule Potsdam (JHS) umbenannt wurde. Nach der Wende war die einstige „Kaderschmiede“ eine funktionslose Liegenschaft. Der Ausbau Golms zum Wissenschaftsstandort begann nach dem Mauerfall und ist längst noch nicht abgeschlossen.

Die Entwicklung Brandenburgs zur Wissenschaftsregion reißt auch in jüngster Zeit nicht ab: Mit den Neugründungen diverser Forschungsinstitutionen in der Lausitz und der Entwicklung weiterer Wissenschaftsparks wird deutlich, dass Brandenburg auch in der Zukunft auf die klugen Köpfe setzt. In Zeiten, in denen Fake News bei immer mehr Menschen auf fruchtbaren Boden fallen, gewinnt die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse an die Bevölkerung mehr und mehr an Bedeutung. Dieser Aufgabe kommt der Verein proWissen Potsdam, in dem mehr als 80 Institutionen miteinander vernetzt sind, seit 2004 nach: Seit 2013 präsentiert er die brandenburgische Wissenschaft im Rahmen des jährlich im Mai stattfindenden Potsdamer Tages der Wissenschaften einer breiten Öffentlichkeit. Und in der Wissenschaftsetage im Zentrum von Potsdam bietet der Verein eine Reihe von Veranstaltungen rund um wissenschaftliche Themen an: von Schülerakademien über Vorträge, Ausstellungen und Podiumsdiskussionen bis hin zu einem Science Dinner:
wis-potsdam.de und brandenburg-wissenschaft.de

verfasst von
Simone Leinkauf

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