DER PROBLEMLÖSER

DER PROBLEMLÖSER

Todd McLellan Apart Push Mower

Ist Torsten Schaub privat ein Ordnungsfanatiker? Man weiß es nicht. Man weiß allerdings, dass der Potsdamer Informatiker eine KI entwickelt hat, die in atemberaubender Geschwindigkeit alles sortiert, was ihr unterkommt

Viele Menschen lieben schwierige Aufgaben: ein großes Sudoku in der S-Bahn, der perfekt gepackte Koffer vor dem Urlaub, ein lückenloser Tagesplan, in dem alles passt, der schnellste Weg durch Berlin in der Rushhour. „Clasp“ liebt sie auch – und kann sie besser als alle anderen. Clasp ist eine Künstliche Intelligenz. Entwickelt hat sie der Potsdamer Informatiker Torsten Schaub. Er sagt: „Es gibt wenig, was Clasp nicht kann. Es muss nur komplex genug sein.“ Tatsächlich löst die KI nicht ein Sudoku, sondern alle auf einmal, macht keinen Stundenplan für einen Tag, sondern für eine ganze Uni mit Tausenden Lehrveranstaltungen. Sie optimiert die Struktur eines riesigen Warenlagers mit Millionen von Artikeln  – und komponiert sogar Musik. 

Denn das Programm ist „ein universaler Problemlöser“, wie der Potsdamer Informatikprofessor selbst sagt, ein sogenannter „Conflict-Driven Answer Set Solver“. „Er löst kombinatorische Probleme, solche, die besonders wissensintensiv sind und viele Variablen enthalten.“ Und genau das macht Clasp zur Künstlichen Intelligenz. Während eine Software nur genau das tut, wozu sie programmiert ist, entfalten KI-Systeme wie Clasp ihr Potenzial erst, wenn sie mit einem Problem „gefüttert“ werden. „Ein normales Computerprogramm ist nicht intelligent, es trifft keine Entscheidungen. Der Lösungsweg ist durch seinen Programmcode vorgegeben“, erklärt der Informatiker. Bei Clasp sei dies anders. „Wir geben nur das Problem vor, den Lösungsweg findet es allein.“ Möglich sei dies, weil das System aus mathematischen Algorithmen besteht, die aus Fehlern lernen. Clasp könne diese nicht nur bewältigen, es brauche sie sogar. „Das System versucht, bei einer Aufgabe frühzeitig in Konflikte zu gehen – und aus ihnen Schlussfolgerungen zu ziehen. Tritt ein Konflikt auf, springt es sofort zurück an dessen Ursprung, füttert das Problem mit der neuen Information und rechnet weiter“, erklärt der Wissenschaftler. 

Irgendwie ist doch jeder ein Sudoku-Experte

Torsten Schaub

Wie jede Künstliche Intelligenz musste auch Clasp trainiert werden. Deshalb „fütterten“ Schaub und sein Team es anfangs mit klassischen kombinatorischen Aufgaben – und Sudokupuzzles. Heute werden mit diesem Beispiel Studierende an das Thema Künstliche Intelligenz herangeführt. „Damit kriegen wir sie alle, denn irgendwie ist doch jeder ein Sudoku-Experte“, sagt Schaub schmunzelnd. Die KI indes durfte schon bald erste echte Anwendungsprobleme lösen: Biologen an der Universität Potsdam half es bei der Analyse von biologischen Netzwerken. Außerdem erstellten Schaub und Co. mit Clasp Stundenpläne für ganze Universitäten, die Räume, Zeiten und Dozierende für mehrere Tausend Kurse unter einen Hut bringen. Und das derart gut, dass es bis heute kein Programm besser kann. Im Laufe der Jahre wendeten Studierende, Doktoranden und Mitarbeiter von Torsten Schaub die KI auf immer mehr Gebiete und Probleme an: wie man Roboterschwärme steuert, Lagerregale optimal bestückt, die Streckenplanung von Logistikunternehmen optimiert. Clasp lernte sogar, autonom Musikstücke zu komponieren. Nach einigen Jahren der Entwicklung machten Schaub und sein Team sich daran, dem System Stabilität zu verleihen. Es war reif für die Praxis. 

Das Rasenmäher-Prinzip:
Wie man sieht, ist der kanadische Fotograf Todd McLellan auch ein großer Sortierer

Entwickelt in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt, waren Clasp und einige andere „verwandte“ Solver-Systeme von Beginn an Open Source, also frei verfügbar. Im Laufe der Jahre seien sie rund 180.000 Mal heruntergeladen worden. „Mittlerweile ist unsere Software so weit verbreitet, dass ich gar nicht mehr weiß, wer sie alles nutzt“, sagt der Forscher. Bekannt ist sie auf jeden Fall für ihren Einsatz bei der Konfiguration des offenen Betriebssystems Linux. Doch es dauerte nicht lange, bis auch die Wirtschaft das Potenzial des Systems entdeckte. Vom bislang größten Erfolg seines Programms hat Schaub eher zufällig erfahren. Auf einer Tagung Künstlicher Intelligenz im Sommer 2016 in New York stellten kanadische Forscher ein hochkomplexes Problem vor – und auch das Werkzeug, mit dem sie es lösen wollten: Clasp. Die KI sollte helfen, die Neuaufteilung und Versteigerung der Rundfunklizenzen in den USA zu organisieren. Was einfach klingt, war eine gewaltige Herausforderung. Genauer gesagt: eine mathematische Aufgabe mit Millionen von Variablen. Genau das Richtige für Clasp, wie sich herausstellte. Am Ende wurden dank der KI mehrere Milliarden Dollar gespart. 

Was Clasp so erfolgreich macht? Zum einen sei das System eines der effizientesten weltweit, sagt Schaub. Inzwischen könne es Probleme mit mehreren Millionen Bedingungen und Variablen lösen. Zum anderen verfüge es über eine sogenannte Modellierungssprache, die dem eigentlichen Programm vorgeschaltet ist. Dadurch kann der Anwender die Aufgabe für die KI relativ kurz und verständlich formulieren. Die Aufgabenstellung, mit deren Hilfe Clasp Sudokus lösen kann, ist nur sieben Zeilen lang. Damit zeigt Clasp schon jetzt, wie Arbeiten in einer digitalisierten Welt von morgen funktionieren kann: „Unsere Modellierung kann auch in natürlicher Sprache erfolgen bzw. in diese übersetzt werden. Damit kann etwa der Betriebsrat die Regeln der Schichtplanungssoftware verstehen und kommentieren.“

Im Frühjahr 2018 hat Torsten Schaub mit Kollegen und ehemaligen Mitarbeitern das Unternehmen „Potassco Solutions“ gegründet. „Als wir gesehen haben, dass Clasp von immer mehr Unternehmen eingesetzt wird, haben wir uns gesagt, wir sollten – als Entwickler des Systems – daran mitwirken“, sagt der Wissenschaftler. Für ihn aus zwei Gründen eine Herzensangelegenheit: Zum einen biete die Firma für ehemalige Studierende, Doktoranden und Mitarbeiter der Professur eine berufliche Perspektive. Zum anderen aber gebe es auf diesem Weg die Chance, Clasp weiterzuentwickeln und die dazugehörige Grundlagenforschung fortzusetzen. „Die Synergie mit der Forschungsgruppe beflügelt die Arbeit bei ‚Potassco Solutions‘ und umgekehrt.“ 

 „Potassco Solutions“ wurde als weltweit agierende Firma konzipiert und hat gegenwärtig acht Niederlassungen auf drei Kontinenten. „Wir wollen unser Wissen ja nach außen tragen – so wie wir Clasp immer schon in die Welt hinaus geschickt haben“, sagt der Forscher.

verfasst von
Matthias Zimmermann

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