„WIR SORGEN FÜR KOPFKINO“

„WIR SORGEN FÜR KOPFKINO“

Podcasts boomen. Jeder Zweite liebt sie. Hört sie. Egal,
ob im Auto, beim Bügeln oder Joggen. Ein Gespräch
mit Robert Skuppin, dem Programmchef von radioeins und Leiter der Contentbox Kultur des rbb

Robert Skuppin, Sie schöpfen aus der Erfahrung als Moderator, Journalist und Programmchef von radioeins des rbb. Seit Sommer 2023 sind Sie Leiter der Contentbox Kultur des rbb. Was macht – aus der Perspektive des Hörers – einen richtig guten Podcast aus? 
Robert Skuppin: Ein guter Podcast schafft es, neue Räume und Perspektiven zu öffnen. Klassische Gesprächspodcasts leben in erster Linie von den Hosts und ihren Talkgästen: Interessanten Persönlichkeiten, die sich über spannende, berührende oder auch lustige Themen unterhalten, hört man gern zu. In der rbb-Podcast-Welt denke ich da beispielsweise an „Hörbar Rust“, „Kalk & Welk“ oder „Talk ohne Gast“. Ein guter Podcast nimmt sich die Zeit, die er benötigt, schafft Tiefgang, Intimität und Nähe. Bei Storytelling-Podcasts – also aufwendig produzierten, dokumentarischen Formaten – steht und fällt alles mit einer starken Geschichte. Das Thema muss tragen. Warum genau lohnt es sich, diese Geschichte zu erzählen? Das muss von Beginn an klar sein. Was dann folgt, ist ein komplexes Zusammenspiel aus Recherche, Dramaturgie, Sounddesign und Produktion. Die Kunst des Spannungsbogens, die richtige Tonaliät und Anmutung sind entscheidend für einen gelungenen Storytelling-Podcast. Und auch hier spielen die Hosts eine wichtige Rolle, die authentisch klingen, einordnen und den Hörer oder die Hörerin mitnehmen auf Recherchereise. Im besten Fall zieht uns ein Podcast sofort in seinen Bann und erzeugt Kino im Kopf.  Im rbb haben wir das Potenzial von Storytelling-Podcasts früh erkannt: 2020 z.B. mit der zehnteiligen Podcast-Serie „Wer hat Burak erschossen?“ über einen ungelösten Mordfall in Berlin-Neukölln oder der Koproduktion „Cui Bono – WTF Happened to Ken Jebsen?“ (Studio Bummens, NDR, rbb & K2H). Seitdem gab es zahlreiche Produktionen und Koproduktionen, in denen wir uns ausprobiert und weiterentwickelt haben. Zu den jüngsten Beispielen gehört die Recherche „Legion: Most Wanted“ von rbb, NDR und Undone. Für den Podcast war das Team der mutmaßlichen RAF-Terroristin Daniela Klette, die im Februar 2024 verhaftet wurde, offenbar schon Ende letzten Jahres dicht auf den Fersen. Eine fesselnde Spurensuche, über die sogar die Kollegen der New York Times berichteten. 

Sie sind als Kulturchef des rbb unter anderem verantwortlich für Podcasts. Wie entwickeln Sie im rbb Ihre Formate?
Ein gutes Podcast-Format lässt sich nicht am Reißbrett entwerfen. Es lebt von der Arbeit im Team, der Kreativität und Experimentierfreude und nicht zuletzt vom Herzblut der Macherinnen und Macher für ihr Thema oder ihre Recherche. Unsere Budgets sind begrenzt, bei der Ideenentwicklung und Umsetzung arbeiten wir eng mit unserer Medienforschung zusammen, um unser Portfolio möglichst zielgruppengerecht weiterzuentwickeln. Vor allem bei der jungen Hörerschaft müssen wir noch stärker werden. Um unsere Audio-Leuchttürme zu koordinieren, gibt es im rbb seit 2023 eine Steuerungsgruppe für neue Podcast-Entwicklungen. Hier wird beraten, koordiniert und es werden Strategien entwickelt, auch innerhalb der ARD und mit Drittpartnern. Aufwendige Podcast-Formate lassen sich oft nur als Koproduktion mit anderen Landesrundfunkanstalten der ARD oder in Zusammenarbeit mit externen Podcast-Produktionsfirmen realisieren. Das schafft Synergien, bündelt Kompetenzen und erzeugt Sichtbarkeit. Dabei merken wir immer wieder, wie wertvoll Input von außen sein kann.  Ab Herbst dieses Jahres bringen wir unsere Podcast-Kompetenz federführend in die ARD ein. Der rbb leitet dann die ARD-Podcast-Unit – eine zentrale Einheit für die Entwicklung und Koordinierung von Podcasts.  

Welche Rolle spielen die neuen digitalen Gewohnheiten, Streaming und Lebensrealitäten beim Erfolg des Formats Podcast?
Lineare Angebote haben das Problem, dass sie nicht exakt darauf abstimmbar sind, in welcher Situation sich die Hörerinnen oder Hörer gerade befinden. Podcasts hingegen können zu jeder Zeit an jedem Ort individuell gehört werden. Das ist mit dem Handy mittlerweile genauso einfach, wie ein Küchenradio ein- oder auszuschalten. Podcast-Streaming ist für viele Menschen extrem praktisch, um die Zeit im Auto, beim Bügeln, beim Joggen qualitativ zu verbessern. Laut einer aktuellen Bitkom-Umfrage (07/2024) hört knapp die Hälfte der Deutschen Podcasts. Die Podcast-Landschaft spiegelt mittlerweile die Vielfalt der Gesellschaft wider, da ist für jeden was dabei, egal wie nischig. Auch das rbb-Portfolio reicht von True Crime bis Mental Health, von Comedy über News bis Talk. Mit Formaten wie „Im Visier“ und „Talk ohne Gast“ erreichen wir in der ARD Audiothek und auf den Drittplattformen monatliche Abrufe von über einer Million. Bei den Episoden von „Kalk & Welk“ oder der Koproduktion „Dark Matters“ liegen die Abrufzahlen stets im sechsstelligen Bereich. Um das Genre zu feiern, haben wir Ende August 2024 erstmals Publikum und Branche zu einem eigenen Podcast-Festival ins Haus des Rundfunks an der Berliner Masurenallee eingeladen. Im „House of Podcast“ hat der rbb ein Wochenende lang knapp dreieinhalbtausend Podcast-Enthusiasten unter einem Dach versammelt. Zahlreiche prominente Hosts haben dabei ihre Formate live auf großen und kleinen Bühnen präsentiert. Eine großartige Chance, mit dem Publikum in Kontakt zu kommen und zu networken.  

Welchen Podcast haben Sie zuletzt gehört und warum?
Begeistert gehört habe ich zum Beispiel „Teurer Wohnen“ – ein investigatives Storytelling-Format von radioeins und detektor.fm über undurchsichtige Immobiliengeschäfte. Ein Thema, das viele Menschen bewegt. Dieser Podcast hat das, was ein perfektes Binge-Listening-Format braucht. Vor allem ist „Teurer Wohnen“ dramaturgisch sensationell gemacht. Völlig zu Recht ist das Podcast-Team von radioeins und detektor.fm bereits mehrfach ausgezeichnet worden für seine herausragende Rechercheleistung. Und es geht weiter! Neue Folgen zu einem ebenso gesellschaftsrelevanten Thema sind für den Herbst geplant.

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