Künstliche Intelligenz bestimmt zunehmend unseren Alltag. Dabei ist KI keine Zauberei, sondern eine beherrschbare Technologie. Wenn wir die Kontrolle über die Algorithmen behalten
Ein Freund ruft an und Sie unterhalten sich mit ihm. Was Sie nicht wissen: Dieser Freund ist gar nicht mehr am Leben. In Wahrheit sprechen Sie nicht mit ihm, sondern mit einem Chatbot, der vorher mit genügend Stimmmaterial gefüttert wurde. Es gibt bereits Software, die das kann. Man kann sie einsetzen, um Sie bewusst hinters Licht zu führen. Eine gruselige Vorstellung.
Noch erschreckender: Forscher am Middlebury College (USA) haben jetzt in mehrmonatigen Experimenten einer Sprach-KI (Künstliche Intelligenz) namens GPT-3 beigebracht, an die „QAnon“-Verschwörungstheorie zu glauben. Sie haben die KI quasi „radikalisiert“. Damit wollten sie einen möglichen Missbrauch durch Extremisten einschätzen. Jetzt warnen sie, dass Anwender dieser von OpenAI entwickelten Sprach-KI solche Algorithmen leicht manipulieren können. Ohne viel Aufwand kann ein extrem eingestellter, aber emotional ansprechender Chatbot programmiert werden, der Verschwörungstheorien verbreitet und so dazu beiträgt, Menschen zu radikalisieren. Mit KI lassen sich nicht nur Ton- und Videoaufnahmen fälschen und Falschmeldungen verbreiten. KI kann Menschen mithilfe von sogenannten Scoring-Systemen auch lückenlos überwachen. Unsere Gesellschaft, unser Alltag sind zunehmend von KI durchdrungen. Wir befinden uns mitten in einem tiefgreifenden Wandel, der uns gravierender verändern wird als die Industrialisierung. Schon jetzt profitieren wir durchaus von dieser Entwicklung. Navigationssysteme sorgen dafür, dass wir uns kaum mehr verfahren. Das spart Zeit und Nerven. Suchmaschinen tragen dazu bei, dass viele unserer Fragen in Sekundenschnelle beantwortet werden können. Hinzu kommen Angebote, wie Video-Empfehlungen bei YouTube, Amazon Prime oder Netflix, die uns die Entscheidung erleichtern, welcher Film als nächstes im Heimkino laufen könnte. KI kann unser Leben künftig sogar existenziell verbessern, zum Beispiel, wenn wir krank sind. Ein KI-getriebenes System berücksichtigt Blutgruppe, Medikamenten-Unverträglichkeiten, Allergien und Vorerkrankungen in Sekundenschnelle, bevor es Behandlungsvorschläge macht, kann sogar Depressionen oder andere Erkrankungen erkennen, von denen der Patient selbst nichts weiß. Blitzschnell kann KI Ärzten künftig empfehlen, was zu tun ist. Fehler, die aktuell auch deshalb passieren, weil die wenigsten Ärzte alle Möglichkeiten zur Interpretation der Symptome sofort auf dem Schirm haben, können vermieden werden. Ärzte sind eben keine Maschinen. KI ist eine Maschine. Bevor eine KI aber derart umfassend als Berater der Ärzte zum Einsatz kommt, muss sichergestellt werden, dass kein Missbrauch mit den Daten getrieben wird und dass die KI, die Behandlungen vorschlägt, wirklich vertrauenswürdig ist. Aktuell ist noch viel Luft nach oben bei der Regulierung von KI. Wenig überraschend, dass das Vertrauen in diese Technologie gering ist. Eine Studie des Weltwirtschaftsforums aus dem Jahr 2019 mit über 20.000 Menschen aus aller Welt, darunter auch aus Deutschland, besagt, dass 41 Prozent der in der Studie Befragten besorgt sind, wie KI zum Einsatz kommt, und 19 Prozent sich am wohlsten fühlen würden, wenn KI verboten würde. Kein Wunder: Noch ist nicht ausgeschlossen, dass jemand die Stimme unserer Freunde nachahmt, um uns hinters Licht zu führen, noch ist auch nicht ausgeschlossen, dass jemand KI nutzt, um die Gesellschaft zu radikalisieren oder damit in anderen Bereichen sein Unwesen treibt. Noch lassen Transparenz und Nachverfolgbarkeit von Entscheidungen, die KI trifft, zu wünschen übrig. In seinem posthum erschienenen Werk „Kurze Antworten auf große Fragen“ schreibt der bekannte Astrophysiker Stephen Hawking 2018, dass KI in den kommenden hundert Jahren die Intelligenz der Menschen überholen wird. Die Einführung von KI stufte er als das größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit ein. KI könne entscheidend dazu beitragen, Krankheit und Armut zu überwinden, Wissenschaft und Gesellschaft voranbringen.
Unsere Zukunft ist ein Wettlauf zwischen der wachsenden Macht unserer Technologien und der Weisheit, mit der wir davon Gebrauch machen. Wir sollten sicherstellen, dass die Weisheit gewinnt.
Steven Hawking
„Unsere Zukunft ist ein Wettlauf zwischen der wachsenden Macht unserer Technologien und der Weisheit, mit der wir davon Gebrauch machen“, warnt er aber. „Wir sollten sicherstellen, dass die Weisheit gewinnt“. Es liege an uns, ob KI das Schlimmste oder das Beste sei, was uns passieren könne. Alles in allem klingt seine Prognose so eindringlich wie düster. Noch allerdings beherrschen Menschen die KI, nicht andersherum. Es liegt aber an uns, dafür zu sorgen, dass KI unser Leben erleichtert, ohne uns negativ zu beeinflussen oder gar unsere Demokratie zu gefährden. Wir alle müssen dafür sorgen, dass wir langfristig von KI profitieren können, dass sich dadurch unsere Gesundheit, unsere Bildung und unser Lebensstandard verbessern, dass die positiven Aspekte dominieren und die negativen unter Kontrolle sind. Jetzt ist es an der Zeit, die Weichen dafür zu stellen, dass uns künftig niemand mit KI hinters Licht führen, überwachen oder unsere medizinischen Daten für unlautere Zwecke missbrauchen kann und dass niemand unkontrolliert KI-Killerdrohnen auf uns loslässt. Normen, technische Standards und Regulierungen bei der Programmierung und Anwendung dürfen wir nicht allein den Marktführern überlassen, deren Compliance-Regeln sich zwar gut lesen, aber nicht garantieren, dass die Fehltritte der Unternehmen überhaupt Folgen haben. Wir alle sind jetzt am Zug. Wir müssen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einwirken und Druck machen, dass sich schnell etwas bewegt. Dann können wir zuversichtlich und entspannt in die schöne neue Welt blicken, die uns erwartet. Erste Richtlinien wie die Ethics Guidelines for Trustworthy AI der Europäischen Kommission wurden bereits ins Leben gerufen. Das ist schon mal ein guter Anfang. Auch an anderen Stellen entstehen viele Regelwerke. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Das reicht bei weitem noch nicht.
Dystopische Szenen, wie sie sich im Film Matrix (1999) abspielen, werden im Reich der Fiktion bleiben. Wir müssen uns nicht davor fürchten, einen Krieg gegen die von uns selbst geschaffenen Maschinen zu verlieren, von diesen bewusstlos als ihre Energiespender unter Kontrolle gehalten zu werden. Niemand von uns wird künftig in einer Matrix von Maschinen gefangen gehalten werden. Solche Szenen werden in Hollywood erzeugt, wo sie auch hingehören. Aber es kann passieren, dass uns KI Fiktion als Realität vorgaukelt, uns in gefährlicher Weise täuscht. Verantwortlich ist dann aber nur einer: der Mensch selbst. Noch haben wir die KI in der Hand. Aber wir müssen handeln. JETZT.
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