Auf der Suche nach Liebe mit Smartphone und Apps – wo sind wir heute eigentlich gelandet? Eine Reportage zu „Digital Love“, ein Selbsterfahrungsbericht zum Thema Onlinedating „Gen Z digital“ einer Gen-Z-lerin und die Analyse „Romantik analog“. Den Abschluss bildet der Essay „Digital unterbehütet“
DIGITAL LOVE
Einblicke in Abgründe von unerfüllter Sehnsucht und schon längst bestehender Sucht nach Dopamin
Es ist kein Geheimnis, dass wir alle gerne die schönen Dinge des Lebens genießen – ein Glas des besten Weins, ein maßgeschneidertes Kostüm, und ja, warum nicht auch ein bisschen digitale Unterhaltung?
Wer hätte gedacht, dass der bisher größte Trend im Sexgeschäft des 21. Jahrhunderts nicht mehr in dunklen Ecken von Rotlichtvierteln oder in noblen Bordellen zu finden ist, sondern auf der Social Media-Plattform OnlyFans? In einer Welt, in der sich alles in Richtung Online-Service und sofortige Befriedigung bewegt, ist es keine Überraschung, dass auch der Sex immer digitaler wird. Seit über acht Jahren beglückt OnlyFans seine Nutzer, primär Männer, mit exklusivem Zugang zu intimen Fotos und Videos ihrer abonnierten Lieblingsfrauen- und Männer. Auch Echtzeit-Chats und individuelle Inhalte sind möglich. Wer zahlt, gewinnt.
Was nach einem ausgeklügelten Geschäftsmodell klingt, spiegelt wesentliche Veränderungen des Sexualverhaltens in unserer modernen Gesellschaft wider – und das nicht ganz ohne gesundheitliche Konsequenzen. Die Technologie hat die Evolution überholt, und unsere Welt ist voller Superreize, die uns durch Dopamin-Explosionen süchtig machen können. Dopamin, ein Neurotransmitter, ist mit „Antizipation“ verbunden und motiviert uns dazu, jene Dinge zu jagen, die unser Überleben unterstützen. Wenn urzeitliche Menschen einen Honigwabenstock sahen, wurde ein großer Dopaminansturm ausgelöst. Dies motivierte sie, das nahrhafte Flüssiggold zu genießen, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Doch während die Evolution ein langsamer Prozess ist, der sich aus kleinen, inkrementellen Mutationen ableitet, ist die Technologie schnell und macht Quantensprünge. Vor 20 Jahren gab es keine Smartphones und keine sozialen Medien. Unsere Physiologie ist jedoch immer noch die gleiche wie die des Urzeitmenschen, aber unsere Welt hat sich drastisch verändert. Eine Welt, die von unendlichen Superreizen dominiert wird. Reize, von denen unsere Vorfahren nicht einmal geträumt haben.
Heute können Menschen jede neue Vorliebe und wildeste Fantasie im Komfort des eigenen Zuhauses erkunden: farbig, asiatisch, weiß, klein, groß, exotisch, schön und sogar außerirdisch. Alles ist möglich mit nur wenigen Klicks. Bei jeder Sitzung wird das Gehirn förmlich umgekrempelt und lässt es noch mehr nach Dopamin verlangen. Dies führt zu einem ständigen Überangebot des Botenstoffs – höher als das von Julius Caesar nach seiner erfolgreichen Schlacht um Alesia. Nur war kein User im Krieg. Die Folge: Kognitive Dissonanz.
Fakt ist: Pornoplattformen und soziale Medien machen süchtig. Sie kümmern sich nicht um unsere Zukunft, Beziehungen, Gesundheit oder Glück, sondern um unsere Aufmerksamkeit und unser investiertes Geld. Befriedigung per Click & Pay – ein Fass ohne Boden. Hier hilft nur ein Befreiungsschlag: Der Entschluss, sich der Realität zu verpflichten. Systeme, die verhindern, in Versuchung zu geraten, können helfen – wie beispielsweise Software, die unerwünschte Domains und Apps blockiert. Aber das Wichtigste bleibt, echte menschliche Kontakte zu suchen und zu pflegen.
Doch nicht nur die sexuelle Befriedigung ist digitaler geworden. Auch das Dating hat sich massiv verändert. Das moderne Dating-Zeitalter lebt und liebt wie nie zuvor. Unsere romantischen Bestrebungen sind oft auf den Glanz unserer Smartphone-Bildschirme und das Wischen eines Fingers beschränkt. Während Online-Dating-Plattformen wie Tinder, Bumble und Hinge vielen von uns die Chance gegeben haben, unser Herz oder unser Sixpack zur Schau zu stellen, scheint in der digitalen Dating-Welt ein seltsames Phänomen aufzutreten. Und es könnte einige Männer zu modernen Mönchen machen – wenn auch unfreiwillig.
Ein Blick auf die Statistik zeigt: Die Zahl der enthaltsamen Männer hat sich im letzten Jahrzehnt verdreifacht. Während die Welt potenzielle Matches nach rechts wischte, reiht sich ein erheblicher Teil der Männer im ‚nach links wischen‘-Regal ein. Das mag an schlechten Profilbildern, billigen Bios oder kitschigen Anmachsprüchen liegen. Aber nein, der Übeltäter scheint das Ungleichgewicht in der „App-Wirtschaft“ zu sein. Ja, die Wirtschaft ist digital geworden, und die von Tinder ist ungleicher als in 95,1% der Länder dieser Welt. Eine ausgewählte Gruppe von Männern, die sogenannte „Tinder-Elite“, scheint alle Likes zu horten, während der durchschnittliche Typ nur ein Like für alle 115 Frauen erhält. Das sind weniger Likes als Sonnenstunden im Winter.
Plattformen wie Parship und ElitePartner sind nur die Spitze des Eisbergs. Mit der „Tinder-Welle“ hat sich die Dating-Landschaft dramatisch verändert. Das heutige Mantra scheint zu sein: „Sei sexy, oder bleib allein.“ Obwohl das für diejenigen funktioniert, die mit Model-Aussehen und herkulischer Statur gesegnet sind, finden sich die meisten Männer aus dem Spiel ausgeschlossen. Einige von ihnen suchen Trost auf OnlyFans und Co, die zwar kurzfristige Befriedigung bieten können, aber keine echte menschliche Intimität ersetzen. Selbst jene Männer, die in der Online-Dating-Welt als begehrt gelten, stehen vor einer Tücke. Umgeben von einer Fülle an Optionen und flüchtigen Abenteuern, entgleitet ihnen allmählich das Verständnis für echte Bindung und das Eingehen von intensiven, sinnlichen Beziehungen. In einer Landschaft, die den raschen Kick belohnt, gerät der Wert einer behutsamen sexuellen Annäherung in Vergessenheit.
Frauen hingegen navigieren die digitale Landschaft oft anders. Während sie ebenfalls von der Dopamin-Falle betroffen sein können, sind die sozialen und emotionalen Implikationen für sie oft komplexer. Viele Frauen nutzen Dating-Apps, um echte Verbindungen zu suchen, stoßen jedoch oft auf oberflächliches Verhalten von Männern. Die Objektifizierung, die auf digitalen Plattformen stattfindet, überträgt sich auch auf das Online-Dating: Frauen fühlen sich oft auf ihr Aussehen reduziert und kämpfen mit unrealistischen Erwartungen. Der ständige Druck, attraktiv und begehrenswert zu sein, kann zu einem Gefühl der Entfremdung führen.
Beleuchten wir das Phänomen der „digitalen Liebe“ aus einer weiteren Perspektive, wird sehr schnell klar: Frauen finden als Content Creators auf Plattformen wie OnlyFans eine hervorragende Möglichkeit, finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. Wie war das doch gleich? Wer zahlt, gewinnt. Für viele Frauen bedeutet das, dass sie ihren Lebensunterhalt eigenständig verdienen können, ohne auf traditionelle Jobs angewiesen zu sein. Sie bestimmen selbst über die Inhalte, die sie teilen und deren Preisgestaltung – eine Form des Empowerments. Die Linie zwischen Selbstbestimmung und Objektifizierung bleibt jedoch sehr dünn.
Auch der Verkauf von getragener Unterwäsche oder sogar benutztem Badewasser ist ein kurioser Teil der digitalen Welt, in der Content Creators ungewöhnliche Nischenmärkte erschließen. Frauen nutzen digitale Plattformen, um solche Produkte wortwörtlich an den Mann zu bringen – oft für erhebliche Summen. Was bizarr klingt, ist für einige ein lukratives Geschäft. Dieser Trend zeigt, wie weit die Monetarisierung von Intimität und Fetischen im Internet reichen kann.
Bevor wir eine „Gerechtigkeits-Kampagne“ der Geschlechter starten, gibt es noch mehr zu berichten. Der globale Dating-Marktplatz ist jetzt volatiler als die Börse nach einem Tweet von Elon Musk. Kurzlebige Beziehungen und Partnerwechsel sind en Vogue, und obwohl Algorithmen ein linkes oder rechtes Wischen vorhersagen können, sind sie schlecht darin, den Erfolg einer Beziehung zu prognostizieren. Denn – Überraschung – Erfolg in der Liebe hängt von mehr ab als von der Körpergröße oder der Anzahl der Nullen im Gehalt! Eigenschaften wie psychische Stabilität und Zuverlässigkeit spielen eine große Rolle.
Für die Männer, die sich übergangen fühlen, könnte es tröstlich sein zu wissen, dass Frauen zwar nach Körpergröße optimieren (vielleicht suchen sie einfach jemanden, der ihnen hilft, das oberste Regal zu erreichen?), aber auf lange Sicht zählen Tiefe der Verbindung, gemeinsames Lachen und gegenseitiger Respekt. Es mag sein, dass die moderne Welt die oberflächliche Attraktivität betont, aber das wahre, tiefere menschliche Bedürfnis nach Verbindung und Nähe bleibt bestehen. Die Welt des Online-Datings mag auf den ersten Blick wie eine schönheitsbesessene Wildnis erscheinen, doch es gibt Hoffnung: Schließlich ist jeder durchschnittliche Mann in den Augen von jemandem ein Prinz. Man überdenke nur vielleicht den unsexy Spruch in der Bio… und denke daran, dass wahre Intimität und tiefgehende Beziehungen mehr bedeuten als ein Swipe nach rechts. Frohes Wischen. ■
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