Virtuelle Produktion
Im Juli trendete mal wieder ein Katzenvideo im Internet. Die ansonsten felinophile Netzgemeinde ließ jedoch kein gutes Haar an dem Trailer, der ein zeitgemäßes Makeover des Musical-Klassikers „Cats“ ankündigte. Zu sehen waren
Hollywoodstars wie Idris Elba, Judi Dench und Taylor Swift im computergenerierten Ganzkörperpelz. Der Tenor in den Kommentarspalten auf YouTube lautete, dass „Cats“
Material für krasse Albträume sei und noch abstoßender als der kurz zuvor erschienene und bereits leidenschaftlich gehasste Trailer der Videospielverfilmung „Sonic The Hedgehog“. Zum Hintergrund: Segas pfeilschneller Igel Sonic
war ab den 80er Jahren der größte Konkurrent von Nintendos Ikone Super Mario. Die für Ende 2019 geplante Verfilmung wurde mittlerweile nach ausgiebiger Internetschelte auf 2020 verschoben, weil das Charakterdesign der eigentlich
harmlosen Igelfigur irgendwie unheimlich war, halb Mensch, halb blaues Dings.
Warum aber sind die Reaktionen auf diese zwei Trailer so negativ ausgefallen? Die Antwort findet sich im Uncanny Valley, im unheimlichen Tal. Das Tal ist eigentlich eine
Kurve, die unsere Akzeptanz von menschenähnlichen Figuren beschreibt. Kurz vor dem Fotorealismus werden Avatare, Roboter oder Filmcharaktere plötzlich creepy, ihre
verblüffende Menschlichkeit verkehrt sich ins Gegenteil, weil irgendetwas fehlt. Selbst zeitgenössische Animationsfilme oder Computerspiele scheitern trotz Motion Capture noch immer am komplexen Zusammenspiel von Gesichtsmuskeln und Bewegungsapparat. Gesichter wirken unbeseelt, unsere Akzeptanz fällt ins Bodenlose, Kinder fangen an zu weinen – herzlich Willkommen im Uncanny Valley. Nun sind die singenden Katzen und der spurtende Igel zwar keine fotorealistischen Menschenfiguren, aber auch halbwegs realistische Chimären scheinen für einen heftigen Marketing-Backlash ausreichend zu sein.
Ein weiterer Katzenfilm hat hier einen Weg bestritten, der in Zukunft einen weiten Bogen um das Uncanny Valley machen soll. Jon Favreau wollte sein Remake von Disneys Zeichentrickhit „Der König der Löwen“ aussehen lassen wie eine Hochglanz-Tier-Doku. Dumm nur, dass echte Löwenjunge, Hängebauchschweine und Erdmännchen große Probleme damit haben, sich lange Textpassagen zu
merken. Also entstanden die tierischen Protagonisten und Kulissen am Rechner. Damit der Anthropomorphismus, also die Vermenschlichung der Tierfiguren, dennoch
funktionierte und die Animationen generell naturalistischer wirkten, filmte das Team komplett in Virtual Reality. Tierfiguren und Hintergründe waren grobe Modelle, die
getrackten Bewegungen von Kamera und Schauspielern wurden anschließend in die Postproduction übertragen, zum Feinpolieren.
Regisseur Jon Favreau und Kameramann Caleb Deschanel waren begeistert von der neuen Produktionsmethode. So wurden die Bewegungen von Kamera und Schauspielern fehlerhafter und damit menschlicher. Die Kamera wechselte
mühelos zwischen Linsen, Perspektiven und Wegen, Lichtsetzungen wurden mit dem Vive-Controller angesteuert und die immersive Kraft der virtuellen afrikanischen Savanne ermöglichte dem Team ein intuitives Arbeiten, geradezu als stünde es in einem echten Set. Der nächste Film, der diese Form der Virtual Production weiter ausreizt, wird nicht lange auf sich warten lassen.
Kritik an „Der König der Löwen“ kam natürlich trotzdem auf. Dies lag erneut an den Tiergesichtern, die in diesem Fall den Humor und die Ausdruckskraft der Zeichentrickvorlage durch die bewusst naturalistische Mimik nur bedingt
wiedergeben konnten. Wir Menschen sind halt sehr sensibel, was glaubwürdiges Stirnrunzeln und Naserümpfen betrifft, egal ob von Mensch oder Tier. Bleibt nur zu hoffen, dass wir uns mit dem Fortschreiten von Virtual Production, Motion
und Performance Capturing diese Sensibilität erhalten, ja, sie vielleicht sogar ausbauen. Denn intuitiv zu erkennen, was echt ist und was falsch, erscheint im Zeitalter von Deep Fakes überlebensnotwendig.
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