YOUTUBE GOES HOLLYWOOD

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„Content ist König, aber das Publikum ist die Königin.“ Sagt der Brite Jordan Schwarzenberger, der The Sidemen managt, die größte Creator-Gruppe weltweit, mit über 130 Millionen Abos und mehr als zwei Milliarden Views pro Jahr. Ein Gespräch über Formate, Chancen und Risiken 

Interview: Peter Effenberg

UNFOLD: Jordan, gefühlt redet ja gerade jeder über Content-Creation. Aber mal ehrlich: Was steckt für dich dahinter?


Jordan Schwarzenberger: Für mich ist Content- Creation die Fähigkeit, die wir heute alle haben: direkt mit Menschen über Inhalte ins Gespräch zu kommen. Egal, ob Text, Audio oder Video – wir haben Plattformen, die uns erlauben, das Publikum mitten ins Smartphone oder auf den Laptop zu erreichen. Und das ganz ohne Gatekeeper. 

Also kann quasi jeder heute sein eigener Sender sein?


Exakt. Wir erleben gerade eine fast komplette Dezentralisierung der Medien. Das klingt erst mal groß, aber eigentlich ist es die größte Chance überhaupt: Reichweite aufbauen, Menschen verbinden, Produkte verkaufen, Unternehmen gründen – alles ist möglich. 

Klingt nach einer Goldgrube. Hast du ein paar Zahlen parat?


Klar. 2020 lag der Marktwert von Influencer-Marketing bei rund 10 Milliarden Dollar. Bis 2025 sollen es über 30 Milliarden sein. Und das Wachstum ist irre – die Zahl der Creator explodiert. Viele Jugendliche träumen heute nicht mehr davon, Arzt oder Anwalt zu werden, sondern Creator. 

Aber sind das realistische Träume? 

Hm, nicht unbedingt. Finanzielle Sicherheit ist für die meisten Creator schwer erreichbar, auch wenn das gerne romantisiert wird. Aber trotzdem: Die Branche ist riesig, das Publikum wächst, und es fließt eine Menge Geld durchs System. 

Du leitest ja die größte Creator-Community Europas, die Sidemen. Für alle, die noch nie von ihnen gehört haben: Wer oder was sind die? 

Sieben Freunde, die 2011 angefangen haben, zusammen Videos zu machen – zunächst einfach beim GTA-Zocken. Daraus wurde 2013 die Gruppe „The Sidemen“. Heute sind sie die wohl größte Creator-Gruppe weltweit: über 130 Millionen Abos auf ihren Kanälen und mehr als zwei Milliarden Views pro Jahr. Aber das Coole: Am Ende sind sie immer noch einfach Freunde, die zusammen spielen und Spaß haben. Und genau das spürt man. 

Klingt nach einer Art Boyband – nur eben für YouTube.


Ja, so könnte man es sagen. Nur dass sie ihre Instrumente gegen Controller getauscht haben. (lacht) 

Auf dem DDG-Gipfel 2024 in London hast du gesagt: „Gen Z hat die Party verlassen und kommt nicht zurück.“ Ganz schön provokant. Stehst du noch dazu? 

Hundertprozentig. Lineares Fernsehen? Für Gen Z praktisch tot. In Großbritannien schauen weniger als 50 % noch klassisches TV, und wenn, dann im Schnitt gerade mal 13 Minuten pro Tag. Auf TikTok sind sie locker über eine Stunde – jeden Tag. Das ist ein 5:1-Verhältnis. Es wird keinen Neustart fürs lineare Fernsehen geben. 

Heißt das, selbst wenn sie älter werden und Kinder haben, kommen sie nicht zurück? 

Genau. Dieses Bild vom „Samstagabend-Fernsehen mit der Familie vorm Kamin“ – das ist Nostalgie. Für die Gen Z wird das nicht mehr Realität. Und ehrlich: Das müssen wir einfach akzeptieren. 

Trotzdem setzen immer mehr klassische Medienhäuser auf YouTube. Ist das eine echte Chance?


In der Theorie: ja. In der Praxis: schwierig. Viele denken, man könne einfach Fernsehinhalte auf YouTube packen. Funktioniert aber nicht. Es braucht ein echtes Verständnis für die Plattform. Und mal ehrlich: Wie viele Topmanager in Medienhäusern schauen selbst regelmäßig YouTube? Die wenigsten. Und das ist ein Problem. 

Also fehlt es an Nähe zur Kultur? 

Exakt. Online-Inhalte dürfen roh sein, DIY-Charakter haben. Nicht alles muss superpoliert wirken. Die meisten in den Sendern glauben aber immer noch: „Gut = Hochglanz“. Dabei will das junge Publikum Authentizität. Wer das nicht versteht, wird verlieren. 

Lass uns über Marken reden. Vor ein paar Jahren waren Sendernamen wie Sky oder ITV noch Schwergewichte. Heute sagen viele: Marke egal, Content zählt. Siehst du das auch so?

 Absolut. Es geht um IP und Formate. Content kann heute jeder produzieren, das Feld ist riesig. Marken, die erfolgreich bleiben wollen, müssen selbst zu Entertainment-Studios werden. Apple und Amazon machen es vor: Die verbrennen Millionen, nur um Serien zu produzieren, die Emmys gewinnen. Für sie ist das Image wichtiger als die Bilanz. 

Also mehr Wagnis? 

Genau. Streaming und YouTube sind kostenlose Konkurrenz fürs klassische Modell. Wer da mithalten will, muss Risiken eingehen. Und die spannendsten Entwicklungen sehe ich gerade bei Social-first-Formaten: kurze Serien, vertikale Shows – quasi das Drehbuch fürs Handy. 

Stichwort „Inside“ – deine Serie mit Victor Bengtsson. Staffel eins lief auf YouTube, Staffel zwei dann bei Netflix. Wie kam das? 

Ursprünglich war’s eine Sidemen-Idee: eine Art Big-Brother-Show, aber im Sidemen-Style. Wir haben über eine Million Pfund reingesteckt, einfach weil wir es ausprobieren wollten. Netflix fand das Format spannend, hat Staffel zwei übernommen und bringt es jetzt sogar in die USA. Da sieht man: Es geht weniger um die Sidemen selbst, sondern ums Format. Und Formate sind das neue Gold. 

Also sollten Creator mehr in Formaten denken?


Unbedingt. Die meisten Creator sind stark im Machen, aber nicht im Entwickeln von IP. Wer das lernt, kann mit Netflix & Co. auf Augenhöhe reden. Da liegt eine riesige Chance. 

Zum Schluss: Wohin geht die Reise? Was ist die Zukunft der Content-Welt?


Es wird immer härter, die Aufmerksamkeit des Publikums zu bekommen. Macht haben nicht mehr einzelne Creator oder Plattformen, sondern die Formate selbst. Wer ein starkes Format hat, gewinnt – egal, wo es läuft. Streaming-Plattformen werden mehr wie Investoren agieren: „Das funktioniert? Super, wir geben Geld dazu.“ 

Also ist Content König? 

Fast. Ich sage: Content ist König, aber das Publikum ist die Königin. Ohne beides hast du gar nichts. 

verfasst von
Peter Effenberg

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